Dr. Philipp Stachwitz

Dr. Philipp Stachwitz
Facharzt für Anästhesiologie & Experte für Digitale Medizin

Dr. Philipp Stachwitz ist Facharzt für Anästhesiologie, ambulant tätiger Schmerztherapeut und Experte für Digitale Medizin. Mit mehr als 20 Jahren Erfahrung in diesem Feld verantwortete er u.a. den Aufbau und die Leitung der Stabsstelle Telematik, heutiges Dezernat „Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung“ der Bundesärztekammer (BÄK). Er war beratend tätig für die gematik, verschiedene Industrieunternehmen, Gesundheits-Start-ups und Hersteller von Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) sowie viele weitere Akteure im Gesundheitswesen. Von 2019 bis 2021 war er in der Rolle des Director Medical Care im health innovation hub (hih) des Bundesministeriums für Gesundheit zuständig für den ambulanten Sektor, die elektronische Patientenakte (ePA), Notfalldatensatz (NFD) und eMedikationsplan (eMP) sowie weitere Anwendungen der Telematikinfrastruktur. Seit 2022 berät er die DGIM rund um die Digitalisierung in der Inneren Medizin.

1. Die ePA ist seit 2003 gesetzlich verankert. Seit Januar 2021 kann jede/-r Versicherte sie über die Krankenkassen beantragen – jedoch haben das bisher nur unter ein Prozent aller Versicherten getan. Wieso tun wir uns in Deutschland so schwer mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen, selbst wenn viele Nachbarländer klar den Nutzen dieser und vieler anderer digitaler Lösungen aufzeigen können?

Den Nutzen und sogar die Notwendigkeit haben wir in Deutschland ja eigentlich schon früh erkannt. 1997, also vor 25 Jahren (!), formulierte ein Gutachten im Auftrag des BMBF und des BMG, die Digitalisierung unterstütze sowohl „die Verfügbarkeit von allen behandlungsrelevanten Informationen zum Zeitpunkt der Behandlung am Ort der Behandlung, die zur Steigerung der Versorgungsqualität und Senkung der Kosten“ führen werde, als auch „die rationale Planung und Entscheidungsfindung im Gesundheitssystem auf der Basis aktueller und gesicherter Gesundheits-/Krankheitsdaten.“ Das könnte auch gestern jemand aufgeschrieben haben. Leider verfügen wir darüber aber immer noch nicht. 

Eine Hauptursache dafür sehe ich in der über lange Zeit mangelnden Entschlossenheit des Staates, die Führung zu übernehmen. Die Partner der Selbstverwaltung, denen das Projekt 2004 übertragen wurde, haben natürlich Interessengegensätze. Sicher ist es eine Stärke unseres Systems, dass diese in – oft sehr langen – Verhandlungen in Form von Kompromissen aufgelöst werden. Bei einem Change-Projekt wie der Digitalisierung funktioniert das aber offenbar nicht gut. Denn solch eine Veränderung geht nun einmal mit erhöhten temporären Belastungen für alle Beteiligten einher. Diese wollte und konnte aber keiner der gematik-Gesellschafter seiner jeweiligen Klientel zumuten. Mein Eindruck ist, dass daher auch in der Selbstverwaltung am Ende viele ganz froh waren, dass 2019 das BMG auch die operative Hauptverantwortung übernommen hat. Es braucht eben jemanden, der (unpopuläre) Entscheidungen fällt und diese dann auch durchsetzt. 

Ein weiteres Problem scheint mir zu sein, dass wir bei den technischen Lösungen an allen Stellen und bei jeder Teilkomponente auf Marktlösungen und eine Vielfalt von Anbietern setzen. So haben wir neben der Vielfalt der Interessen auch eine technologische Komplexität, die spätestens in der jetzigen Umsetzungsphase kaum noch beherrschbar ist. Fehler z.B. lassen sich so nur schlecht zuordnen. Und das ist eine Analyse, die ich nicht zuletzt aus der Industrie höre. 

Und schließlich die Finanzierung. Ein Projekt wie dieses ist sehr, sehr teuer. Bezahlt werden soll es aber bis heute aus den laufenden Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung. Und so sind die Beträge, die zustande kommen, das Ergebnis von Verhandlungen. Kompromisse eben. Diese Kompromisse führen aber zu mangelnder Kompensation und zu Unzufriedenheit bei denen, die für den Erfolg der Einführung maßgeblich sind: die Leistungserbringer. Ich denke, bei einem solchen Infrastrukturprojekt, das ja wirklich jedem Menschen in unserem Land zugutekommt, hätte viel früher eine andere Finanzierung erwogen werden müssen. Das KHZG, bei dem jetzt 4,3 Mrd. Steuermittel eingesetzt werden, scheint mir da ein sehr richtiger Ansatz zu sein.    

2. Viele Ärztinnen und Ärzte bemängeln, dass die digitalen Lösungen wie TI-Konnektoren, ePA und eRezept wenig mit ihrem praktischen Alltag abgestimmt sind und vor allem Mehrarbeit bedeuten. Gleichzeitig ist die verfasste Ärzteschaft Gründungsmitglied und seit über 15 Jahren Gesellschafter der gematik. Wie kommt es zu diesem Disconnect? Und wie kann sich die Ärzteschaft in Zukunft anders einbringen, um passende digitale Lösungen für ihre Bedarfe zu erhalten?

Ich glaube es ist viel einfacher: Die genannten Lösungen funktionieren im Moment schlichtweg einfach – noch – nicht! Entweder es klappt gar nicht oder es ist so schlecht in die heute vorhandene Software implementiert, dass die Kolleginnen und Kollegen (ich eingeschlossen) verständlicherweise einfach richtig sauer sind. Und das erst Recht, wenn ihnen dann noch Sanktionen drohen. Was wir also zumindest mal brauchen sind technische Umsetzungen, von denen man sagen kann: „Tut was es soll“. Was wir aber auch brauchen und ich mir sehr wünschen würde, ist endlich ein klares Commitment für die digitalen Lösungen, die jetzt eingeführt werden sollen. Und das heißt auch gegenüber der eigenen Klientel ehrlich klarzumachen, dass ein solches Mammutprojekt mit Mehraufwand, mit Fehlern und mit Beschwerlichkeit verbunden sein wird. Und nicht einfach nur zu fordern, dass das alles ohne jede Belastung passiert. Wie soll das gehen?! Natürlich ist das Gesundheitswesen am Limit der Belastungen und natürlich haben wir Corona. Aber wann, wenn nicht jetzt, müssen wir die Veränderungen denn herbeiführen? Sollen wir fünf Jahre warten? Es bedarf jetzt einer gemeinsamen Anstrengung, um das umzusetzen. Die gelingt aber nur, wenn es endlich Zustimmung, Unterstützung und eine positive Grundüberzeugung seitens aller Verantwortlichen auch in der Ärzteschaft gibt, dass das der richtige Weg ist. Und natürlich: Die, die die Hauptlasten tragen, müssen dafür entsprechend kompensiert werden. Wenn man will und erwartet, dass die Menschen im Gesundheitswesen jetzt eine „Extra-Meile“ gehen, dann können wir vielleicht aus der Impf-Kampagne lernen. Da haben sich zehntausende Praxen, weit über das hinaus was sonst geht, engagiert. Aber dieser Erfolg war neben der Überzeugung, dass das jetzt notwendig ist, auch nur möglich, weil es eine entsprechende finanzielle Kompensation für die Aufwände gab. Und auch natürlich: Ärztinnen und Ärzte, die VOR ORT wissen, wie Patientenversorgung und Forschung funktionieren, müssen mehr eingebunden werden in die (Weiter-)Entwicklung der digitalen Lösungen für unserer Gesundheitswesen. Das ist in den letzten 15 Jahren viel zu sehr vernachlässigt worden.

3. Was ist Ihr ganz persönliches Zielbild als Arzt, der sowohl ambulant tätig ist als auch lange auf Seiten der Ärzteschaft, mit der gematik und im hih Einblicke in die Umsetzung und Regulatorik erhalten hat? Wie sollten Ärztinnen und Ärzte im Jahr 2025 Technologie einsetzen, und welche Weichenstellungen sind dafür schon heute notwendig?

2025 ist ja nicht sehr lange hin. Ich hoffe einfach, dass wir dann wenigstens schon ein paar Schritte weiter sind als heute! Persönlich wünsche ich mir, dass ich zukünftig mit moderner, schneller Software, die zudem digital vernetzt ist, meine Arbeit als Arzt erledigen kann. Dass ich z.B. einem Patienten/einer Patientin, der/die aus dem Krankenhaus kommt, besser erklären kann, was dort gemacht wurde, weil ich den Arztbrief da habe. Dass ich schnell sehe, wie dort die Medikation verändert wurde. Und dass ich nicht Minuten vertue mit dem Abtippen von irgendetwas und dabei einem Patienten/einer Patientin sage: „Sprechen Sie ruhig weiter, ich höre Ihnen zu“, während ich aber auf meinen Monitor gucke, weil ich mich mit unzulänglicher Software abgeben muss. Und Weichenstellungen? Ich glaube, die Weichen sind schon ganz gut gestellt. Wir müssen jetzt nur langsam mal wieder drauf fahren!

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