Prof. Dr. Patrick Jahn

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Leiter AG-Versorgungsforschung, Universitätsmedizin Halle (Saale) & Projektleiter TDG

Prof. Dr. Patrick Jahn ist Leiter der AG-Versorgungsforschung, Universitätsmedizin Halle (Saale) und Projektleiter der „Translationsregion für digitalisierte Gesundheitsversorgung“ (TDG). Das Bündnis mit mehr als 100 Akteur:innen pilotiert digitale Anwendungen und Lösungen für die Gesundheitsversorgung und Pflege im häuslichen Umfeld und war jüngst bei der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) zu Gast.


1. Sie haben letzte Woche auf der Gesundheitsministerkonferenz der Länder die „Translationsregion für digitalisierte Gesundheitsversorgung (TDG)“ vorgestellt. Worum geht es und wie war die Resonanz der Minister:innen?

Im Eröffnungsvortrag der GMK habe ich die Teilnehmer:innen zu einem Lokaltermin entführt: in unser Innovationsökosystem der TDG mit über 100 Partnern und aktuell 21 Förderprojekten (Finanzvolumen von fast 13 Mio Euro). Konkret haben wir im südlichen Sachsen-Anhalt mit dem Seniorenverein Nauendorf (bei Halle an der Saale) am 30. und 31. Mai 2022 die ersten Transformationstage durchgeführt und dabei in einer komplexen Simulation unsere Projekte in der realen Umgebung mit den Senior:innen umgesetzt und somit die Zukunft erlebbar gemacht und dann gemeinsam mit ihnen reflektiert. Dies haben wir in einer Dokumentation filmisch festgehalten und als Einstieg der GMK präsentiert. In Nauendorf konnte eine ganze Versorgungskette mit integrierter IoT Lösung umgesetzt werden. Konkret: Von einer Heart Failure Nurse begleiteten interprofessionellen Telekonsultation mit angeschlossener Drohnenbasierter Medikamenten-lieferung, die dann über einen smarten Medikamentendispenser über Augmented Reality Anwendung eine Einnahmeerinnerung an die Wohnzimmerwand präsentiert. Es ging uns bei der GMK darum das Selbstverständnis in der Region erlebbar zu machen: wir sind Modellregion bezüglich des demografischen Wandels und wir sind auch Vorreiter:innen für die Lösung der damit verbundenen Versorgungsfragen. Anschließend haben wir noch unsere Lessons Learned mitgeteilt und Perspektiven für die notwendige Unterstützung aus der Politik zur Diskussion gestellt. 


2. Tun sich strukturschwache Regionen wie das südliche Sachsen-Anhalt leichter bei der digitalen Transformation? Auf welche Faktoren kommt es an?

Da Transformation keinen Selbstzweck verfolgt - auch nicht in der Digitalisierung -, sondern auf den gesellschaftlichen Bedarf reagiert, führt der Transformationsdruck in der strukturschwachen oder besser Strukturwandelregion zu einer Beschleunigung. Wichtig ist dafür, dass wir den Menschen eine klare Perspektive geben, dass die Transformation mit ihnen geschieht und sie auch an der Lösung partizipieren. Auch im Rahmen der Transformationstage, wurde das überdeutlich: Die Menschen erwarten keine technische 100-prozentige Lösung aber sie erwarten eine Perspektive für die Lösung relevanter Versorgungsprobleme und ein Verständnis, wie der Entwicklungsweg aussieht. Im Strukturwandel ist die Gesundheitsversorgung das persönlichste Thema – v.a. bei einer Bevölkerung mit so hohem Anteil älterer Menschen. Gleichzeitig ist die Partizipation in diesem Bereich besonders gering.
Entscheidend sind aus unserer Sicht vier Faktoren, die vier T´s:
1. Teilhabe. Patienten, Pflegebedürftige aber auch professionelle Akteure wollen an der Lösung beteiligt werden und da sie bei Digital Health auch im hohen Maße selbstaktiv sein müssen, kommen wir hier nicht umhin diese Teilhabe zu ermöglichen. 
2. Team. Wir müssen die Forschungs- und Innovationsbeteiligung besonders der Pflegeberufe stärken, da es für die Lösung die interprofessionellen Perspektiven bedarf. Dabei geht es auch um eine Aufgabenneuverteilung und Übertragung von Aufgaben, bspw. im Bereich der Heilkunde. 
3. Transformative Kompetenzen müssen hierfür gestärkt werden. Wenn wir den Übergang aus der Medizinprodukte geprägten Zeit in die Zukunft der Robotik und der KI-Anwendungen schaffen wollen, müssen wir durch Qualifikation alle Gesundheitsberufe befähigen, diese Technologien in ihre Arbeitsprozesse zu integrieren. Für die Pflegeberufe fehlen bisher bundeseinheitliche Vorgaben für die Aus- und Weiterbildung. Future Care Labs würden helfen die Kompetenzen praxisnah zu entwickeln. 
4. Tempo. Bei der Umsetzung von Digital Health geht es auch um Tempo, das ist in unserer Region Allen deutlich. Daher brauchen wir hier dringend eine Beschleunigung. Regionale Lösungsmodelle mit der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation unterstützt durch Rahmenbedingungen könnten das bewirken.

3. Der ebenfalls letzte Woche erschienene Trendreport stellt zehn Projekte vor, angefangen von einer Drohnen-App für Arzneimittel über digitale Reha für Long-Covid-Patienten bis hin zur Sprachtherapie mit Unterstützung von Virtual Reality. Wie zuversichtlich sind Sie, dass aus den bald mehr als 20 Projekten marktfähige und erfolgreiche digitale Anwendungen und Lösungen werden und welchen Beitrag muss der Staat, müssen Bund und Länder, leisten?

Ich bin sehr zuversichtlich, dass ein Großteil unserer Projekte Marktfähigkeit erreichen. Wichtiger als meine Perspektive ist aber, dass dies auch die Unternehmen und damit Bündnispartner:innen in der TDG so sehen, die ja auch erhebliches Eigenkapital in die Projekte geben. Wir haben dies letztes Jahr evaluiert und 88 Prozent sehen eine gute bis sehr gute Verwertbarkeit in drei bis fünf Jahren und 100 Prozent in fünf bis zehn Jahren. Unterstützen würden uns folgende politischen Maßnahmen, die sich auch auf das Tempo auswirken würden: Auf- bzw. Ausbau einer Strukturmodellregion als Living Lab, regionaler Anteil des Innovationsfonds für Forschung in Modellvorhaben, regionale Modellimplementierung unter Verwendung von Regionalbudgets, Absicherung durch übergeordnete Evaluation und bundesweite Übertragung durch Bündelung in einem Kompetenzzentrum für Digitale Transformation von Gesundheit und Pflege, entsprechend der Konzeption als Leitprojekt des LSA im Rahmen Förderung Kohleausstiegsgesetz. Das heißt: eine kluge Kombination von regionaler Versorgungsentwicklung und bundespolitischer Regulation und „Versorgungslernen“ aus den Regionen würde die bisherige Situation umkehren und den Menschen stärker vermitteln, dass sie Teil der Lösung sind. Diese Kultur ist Triebkraft in unserem Innovationsökosystem. In Nauendorf haben wir jüngst die positive Wirkung in den „Transformationstagen“ erlebt und im Film ein Stück dieser Wirkung dokumentiert. Diese Wirkung stärkt unsere Verpflichtung und Motivation im gesamten Bündnis die Projekte dann auch in die reelle Versorgung zu führen.

Zum Trendreport

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