Sophie-Christin Ernst ist gemeinsam mit Mina Luetkens Co-Founderin der Patients4Digital gGmbH. Beruflich ist sie seit März 2020 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Management im Gesundheitswesen tätig und Ärztin in Weiterbildung in der Augenheilkunde. Ihr Medizinstudium hat sie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und an der Université Paris Descartes in Frankreich absolviert. Ihre bisherige Forschungsarbeit konzentrierte sich auf Elemente des Value-based Health Care-Ansatzes wie zum Beispiel Outcome-basierte Vergütung und Vereinbarungen zur Risikoverteilung, Implementierung der Ergebnismessung mittels PROMs und Qualitätstransparenz. Zusätzlich ist sie Co-Creatorin des ersten deutschen Value-based Health Care-Seminars.
In den letzten acht Jahren habe ich in verschiedenen Rollen unterschiedliche Perspektiven auf unser Gesundheitssystem bekommen – als Medizinstudentin, seit letztem Jahr als Ärztin, aber auch über fünf Jahre als Pflegeassistentin, als Angehörige und Patientin. Triebfeder für einen Schritt aus der klassischen Medizinerlaufbahn heraus war vor allem meine zunehmende Unzufriedenheit mit aktuellen Gegebenheiten in der Patient*innenversorgung: Desto mehr Erfahrungen ich in unserem Gesundheitssystem sammelte, desto deutlicher wurden Probleme der aktuellen Versorgungs- und Vergütungsstrukturen für mich. Damit empfand ich die Frage, woraus diese letztendlich resultieren und wie man sie lösen könnte, als immer drängender. Während meinem Auslandsstudium habe ich deshalb ein Zusatzprogramm für Health Care Innovation Management an der Université Paris Descartes absolviert und hier erstmals das Konzept von Value-based Health Care (VBHC) kennen gelernt - ein Lösungsansatz, der den Patient*innennutzen in den Mittelpunkt rückt und Wettbewerb zwischen Leistungserbringern und anderen Stakeholdern im Gesundheitswesen auf Basis von Qualität statt nur Volumen fördern soll. Später arbeitete ich als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Université Paris Descartes und anschließend am Fachgebiet für Management im Gesundheitswesen der TU Berlin zu Forschungsfragen in diesem Bereich.
Durch den Blick auf das System durch diese etwas andere Linse wurde mir deutlicher, wo das Gesundheitssystem selbst aktuell krankt und was es braucht, um eine Transformation anzustoßen. Mit dem Fokus auf den Patient*innennutzen ist VBHC für mich eine Rückbesinnung auf Kernwerte in der Medizin und auf die eigentliche Existenzbegründung für ein jedes Gesundheitssystem: Patient*innen begeben sich schließlich in medizinische Behandlung, um ihre Gesundheit für sie merklich zu erhalten oder zu verbessern, um ihr Leben möglichst nah an dem gesundheitlichen Zustand führen zu können, den sie sich wünschen. Ob unser System dies leistet, wird aktuell nicht standardmäßig erfasst. Aus meiner Sicht plädiert der Ansatz folglich für Dinge, die wir schon lange hätten tun sollen und für die wir uns mit Patients4Digital entsprechend stark machen: patientenzentrierte Versorgung mit Einbezug der Patient*innenperspektive entlang des Behandlungspfades und hinsichtlich der Versorgungsqualität, Shared Decision-making, bis hin zu „Choosing wisely“, eine Zusammenarbeit über Silos und Sektorengrenzen hinweg, ein echtes Versorgungskontinuum und insbesondere die Stärkung der Patientenrolle im Gesundheitsmarkt. Ein für uns wichtiges Kernelement des VBHC-Konzeptes bilden sogenannte Patient-reported Outcome Measures. Mittels dieser Fragebögen können Patient*innen ihre Sicht auf die eigene Lebensqualität, Funktionalität und ihr Wohlbefinden in standardisierter Form vor, während und nach Abschluss einer Therapie übermitteln. PROMs bieten in Verbindung mit den bisher erhobenen klinischen Parametern und Prozessdaten eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten für eine patient*innenenzentrierte Versorgung.
Ein Key Learning aus meiner Forschung zur erfolgreichen Implementierung von VBHC war die bisher in vielen Ländern fehlende Involvierung von Patient*innen in einen Prozess, in dem sie ganz vorn mit dabei sein sollten – und der ohne ihre Stimme letztendlich nur am Ziel vorbeischießen kann. Gleiches trifft leider auch auf die Digitalisierung im Gesundheitswesen zu, wie Umfragen im Vorlauf der im KHZG vorgesehenen digitalen Transformation unlängst gezeigt haben. Im „DigitalRadar“, dem Reifegradmodell zur Ermittlung des Digitaliserungsgrades deutscher Krankenhäuser wurde Patient*innenpartizipation zwar als eines der Kriterien aufgeführt, schnitt jedoch hinsichtlich der Umsetzung am schlechtesten ab.
Als ich Mina Luetkens vor diesem Hintergrund im Rahmen einer Challenge zur Stärkung der Patient*innen-Stimme mittels digitaler Technologien kennenlernte, wusste ich: Hier laufen meine bisherigen Rollen und Erfahrungen nahtlos zusammen, und ich kann all mein bisheriges Engagement, mein Wissen und mein Netzwerk einbringen und dabei helfen, die beschriebenen Lücken in unserem System zu füllen, Stakeholder mit einem gemeinsamen Ziel an einen Tisch zu bringen – um final die Patient*innenrolle zu stärken.
Leider hapert es oft noch bei den Grundlagen wie z.B. einem effizienten Informationsaustausch zwischen verschiedenen Abteilungen, Leistungserbringern oder über die Grenzen zwischen ambulantem und stationärem Sektor hinweg. Dass der Informationsverlust hier zu Frustration, Verzögerungen oder sogar Fehlern führen kann, habe ich als Angehörige miterlebt, beobachte ich aber auch im Arbeitsalltag als Ärztin.
Ich bin Teil einer Mediziner*innengeneration, die sich vermehrt eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Patient*innen wünscht und zunehmend das Potential für mehr Souveränität und Engagement von Patient*innen im Behandlungsprozess erkennt.
Ein effizienter und für Patient*innen transparenter Informationsfluss wäre daher schon ein großer Schritt in Richtung einer besseren Versorgung. Die Datenhoheit sollte hier bei Patient*innen liegen.
Zwar sehe ich viel Bewegung im Bereich Digital Health, aktuell erscheint es mir aber selbst als jemand mit Affinität zu dem Thema schwer nachvollziehbar, wie Aktivitäten diverser Einzelakteur*innen und staatliche Aktivitäten wie der Ausbau der Telematikinfrastruktur ineinandergreifen. Eine bessere Verzahnung und eine transparentere Kommunikation an alle Beteiligten, inbesondere Patient*innen und medizinisches Fachpersonal, wäre hier essentiell.
Für die Gesundheitsversorgung im Jahr 2025 und darüber hinaus wünsche ich mir vor allem, dass die Digitalisierung besonders auch in der Breite als wichtiges Vehikel für Daten- und Informationsaustausch zwischen verschiedenen Akteur*innen im Gesundheitswesen erlebbar sein wird - insbesondere dadurch, dass sie eine Transformation hin zu einer patient*innenzentrierten Versorgung realisiert. Eine Transformation, die Nachhaltigkeit voranbringt, weil sie die Gesundheit der gesamten Bevölkerung verbessert und dazu auch zu einem Gesundheitssystem führt, dass Ressourcen nachhaltig einsetzt.
In meiner Vision spielen Patient*innen 2025 „empowered“ durch digitale Technologien aber insbesondere auch durch mehr Souveränität eine aktivere Rolle in Erhalt, Wiederherstellung oder Verbesserung ihrer Gesundheit. In meiner Vision sind PROMs neben anderen durch die Patient:innen selbst gesammelten Informationen (z.B. über Wearables gesammelte Daten) zusammen mit bereits jetzt häufig genutzten klinischen Parametern Teil der Routineversorgung. Diese neuen Informationen und Datenpunkte werden entscheidende Tools für die Stärkung der Patient*innensouveränität und damit für eine Ausrichtung der Versorgung an Patient*innen und ihren Bedürfnissen - auf der individuellen Ebene der Behandlung ebenso, wie für Lern- und Verbesserungsprozesse auf Systemebene.
Die Digitalisierung eröffnet neue Möglichkeiten der Interaktion und schafft Transparenz, die es braucht, um Veränderungen anzustoßen, die lange nötig sind. Dieser Wandel erfordert Mut und eine enge Zusammenarbeit aller Stakeholder in unserem Gesundheitswesen. Hier wollen wir mit Patients4Digital als Katalysator wirken.
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